Ein Tag an der Bongaschule - Ein Bericht

Schule auf südafrikanisch
Vier Wochen leben und lernen an der Bonga High School
Ein Bericht von Esther Hoffmann von 2010

„We magnify your name“, singen die Schüler der Bonga High School, die sich zwischen 7:30 und 8:00 auf dem Schulhof ihrer hufeisenförmig angelegten Schule zur morgendlichen Assembly einfinden. Das Schullied, das jeden Morgen gesunden wird, fungiert als Schulglocke. Während der tief berührende Gesang über das Schulgelände auf die Felder hinaus getragen wird, werden die Reihen der Schüler von allen Seiten weiter aufgefüllt. Die Schüler der Abschlussklasse 12, deren Unterricht schon um 6:30 beginnt, stellen sich auf. Durch das Schultor strömen noch Nachzügler herein, die häufig die Assembly nur teilweise oder gar nicht mitbekommen, weil sie keine Uhr haben und sich stattdessen beim Aufstehen nach der Sonne und den umgebenden Geräuschen richten. So dauert es manchmal bis in die zweite Schulstunde hinein, bis die ca. 650 Schüler in ihren Klassen angekommen sind. Während der Guard das Tor öffnet und schließt, verstummen langsam die wunderschönen Stimmen der Schüler und Lehrer, die von klein auf mit dem Rhythmus im Blut und dem Singen aus dem Herzen heraus aufgewachsen sind. Einer der 24 Lehrer und Lehrerinnen richtet nun das Wort an die Schüler. Es wird eine Geschichte aus der Bibel erzählt oder eine Passage vorgelesen und eine Lektion daraus gezogen, die auf den Alltag übertragen wird. Mit diesem Gedanken werden die Schüler in ihre Klassen entlassen und die Lehrer versammeln sich noch ein Mal im Lehrerzimmer. Jeder Lehrer schnappt sich Hefte, Bücher oder anderes Material von seinem Schreibtisch. Der ein oder andere zitiert in strengem Ton Schüler herbei, damit dieser beim Tragen helfen kann. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist ungewohnt autoritär. Durch Unterwürfigkeit wird hier Respekt gezeigt. So beobachte ich manchmal Schüler, die mit niedergeworfenem Blick einem Lehrer ein Glas Wasser bringen oder den Müll eines Lehrer zum Papierkorb tragen. Gleichzeitig ist das Verhältnis aber auch sehr locker. Es vergehen keine fünf Minuten, in denen nicht ein Schüler in das Klassenzimmer hineinspaziert und sich mit einer Frage an einen Lehrer wendet, ein kleines Schwätzchen hält oder die Süßigkeitentüte zum Verkauf der pappsüßen Leckereien mit in seine Klasse nimmt.
Es wird ruhig in den Klassen und im Lehrerzimmer. Die Putzfrau Thandazile kommt mit einem großen Putzeimer und Lappen ins Lehrerzimmer herein und die Lehrer wechseln kurzzeitig ihre Plätze, um Thandazile freie Fahrt zu verschaffen, stellen Stühle hoch und räumen Kisten von links nach rechts und dann wieder von rechts nach links. Besonders nachdem es geregnet hat, bleibt die Erde des ungeteerten Schulhofs in dicken schweren Klumpen an den Schuhen kleben. Man versucht sie vor dem Betreten der Schule an den Treppenstufen abzuschaben, aber ein Teil bleibt doch immer wie Kaugummi kleben und es fühlt sich so an, also ob man auf Watte läuft. Die Atmosphäre im Lehrerzimmer ist entspannt. Immer wieder werden Handys als Radio benutzt und es ertönen fröhliche Gospellieder, West Life oder auch Schnulzen des Sängers Maxwell. Je weiter der Tag voranschreitet, desto häufiger wird mit eingestimmt oder auch spontan die Hüfte geschwungen. Die durchs Lehrerzimmer laufenden Schüler schmunzeln dann, wenn sie ihre Lehrer so ausgelassen sehen. Das Handy dient auch als Uhr, denn in der gesamten Bonga High School gibt es keine Uhr, die funktioniert. Und obwohl jeder Lehrer ein Handy besitzt, kommt doch hin und wieder die Frage auf: „Which period is it?“/“Welche Schulstunde ist gerade?“
Der Gong, der wie eine aufheulende Sirene klingt, ertönt ca. alle 60 Minuten und kündigt die nächste Unterrichtsstunde an. Tourism, Arts & Culture, Social Sciences, Geography, English, Accounting, Computer... Die Spannbreite ist groß. Frontalunterricht wird ganz groß geschrieben. Schon aus der benachbarten Grundschule hört man die Kleinen im Chor dem Lehrer nachsprechen: „One“, „one“, „two“, „two“ usw. So und ähnlich geht es ab der 8. Klasse in der High School weiter. Aber aus Mangel an Material (Bücher, Spiele, Rechenschieber etc.) lässt sich Frontal- und Kreideunterricht eben am allerbesten organisieren. Neben dem Materialmangel wäre die Klassengröße eine weitere Herausforderung für offenen Unterricht. In der 8. und 9. umfasst eine Klasse z.B. zwischen 40 und 50 Schüler. Donnerstag ist Sporttag. An diesem Tag sind die Schulstunden nur je 45 Minuten lang und die Schule endet um 13:10. Danach spielen Lehrer gegen Schüler oder Schüler gegen Schüler. Mal sind die Männer mit Fußball dran, mal die Damen mit Netball (wie Basketball, nur ohne Dribbeln), mal die unteren gegen die oberen Klassen. Wie die Sportler teilweise barfuß oder mit Flipflop-ähnlichen Schuhen auf ziemlich steinreichem Boden spielen können, ist mir ein Rätsel. Auch würde unsereinen das Rennen bei 30°C im südafrikanischen Winter und bei prallem Sonnenschein völlig fertig machen, aber die Schüler und Lehrer laufen bei solch einem Wetter sogar noch mit Pulli herum. Sie sind an die Temperaturen gewöhnt und haben daher eine ganz andere Wahrnehmung von „warm“ und „kalt“. Während des Spiels sind alle involviert. Wenn nicht auf dem Spielfeld, dann doch als „Cheerleader“ am Rand. Bei Sportevents sind die Lehrer und Schüler nicht mehr zu halten. Es wird geschrieen, getanzt und gelacht. Gelegentlich entwickelt sich das Anfeuern sogar zum Zulutanzen. Dabei fliegen die Beine in die Höhe bis hinters Ohr und dann knallen die Füße mit lautem Getöse wieder auf den Boden. Die Tänze sind eine Spezialität der Schule.
Am Ende des Sportevents weiß eigentlich keiner, wie das Spiel ausgegangen ist. Hauptsache, wir hatten Spaß! Um 14:10 geht der Schultag zu Ende. Die Lehrer versammeln sich im Lehrerzimmer und stehen den Schülern noch eine halbe Stunde für Fragen zu Hausaufgaben usw. zur Verfügung. Die Schüler treffen sich noch ein Mal, um mit einem Gebet den Schultag
abzuschließen. Sobald der Guard anschließend das Schultor öffnet, machen sich die Schüler mit ihren Rucksäcken, Plastiktüten oder Ordnern auf den Heimweg. Die Lehrer bereiten sich ihrerseits auf die Heimfahrt vor. In Gemeinschaftsbussen haben einige noch eine 1-stündige Rückfahrt vor sich. Für die Abschlussklasse und ihre Lehrer geht es am Abend mit einer dreistündigen Unterrichtseinheit weiter. Die Bonga High School hat u.a. wegen der hohen Pass Rate (Prozentsatz an Schülern, die das Zentralabitur bestehen) einen sehr guten Ruf, den sie sich jedoch jedes Jahr aufs Neue erarbeiten muss. Für den Extraunterricht am Abend, an Wochenenden und Feiertagen werden die Lehrer nicht bezahlt. Sie machen es aus intrinsischer Motivation heraus. Die Schule ist als Arbeitsplatz für Lehrer beliebt. Freiwillig würde keiner aus dem motivierten, jungen Kollegium wechseln. Viel Potential schlummert in den Schülern der Bonga High. Sie haben im Fach Arts & Culture mit der Performance ihrer Zulutänze schon einige Preise gewonnen und sind sichtlich stolz auf die Pokale, die im Zimmer des Direktors zu bewundern sind. Schade ist nur, dass oft das Material fehlt, um (Klassen-)Projekte umzusetzen und die Lehrer kaum Möglichkeiten zur Weiterbildung haben.
Mein Fazit: Ich durfte vier Wochen lang den Alltag an der Bonga High School hautnah erleben und wurde sogar völlig problemlos als Deutsch- und Englischlehrerin integriert. Das ist sicherlich nicht selbstverständlich und spricht in hohem Maße für die Flexibilität, Offenheit und die Teamfähigkeit der Lehrer und des Direktors Mr. Xaba. Die Neugier an fremden Ländern generell und an Deutschland im Speziellen war sehr hoch, was mich ungemein gefreut hat. Skeptisch haben die Lehrer die Euromünzen betrachtet, die ich mitgebracht hatte und mir Löcher in den Bauch gefragt über das Leben und Arbeiten in Europa/Deutschland. Schade ist nur, dass einige Lehrer und auch Schüler das Westlicheuropäische glorifizieren und danach streben, besonders westlich zu leben. Dabei übersehen sie das Wertvolle an ihrem eigenen Leben. Es ist nicht besser oder schlechter als das Leben in Deutschland; es ist schlicht ANDERS. Für mich waren es vier Wochen ohne Reizüberflutung. Der Internetzugang ist teuer und langsam, Zeitungen sind nur limitiert verfügbar. Also habe ich den Anspruch aufgegeben, jeden Tag auf dem aktuellen Stand zu sein. Plötzlich war mein Kopf ganz frei für die „kleinen Dinge“; die Sorgen des Nachbarn, die Geschichten von Kollegen, meine eigenen Gedanken. Auch die omnipräsente Natur, die frische Luft und die tägliche Sonne haben unendlich gut getan. Das mangelnde Bewusstsein über die Sonnenseiten des Lebens in Hluhluwe hängt sicherlich auch damit zusammen, dass viele nicht in den Genuss von den Naturangeboten der Region kommen und nicht mit der Wertschätzung für sie aufwachsen: das Wildtierreservat direkt um die Ecke, der Elefantenpark mit den angeblich größten Dickhäutern Afrikas, die nur schwach bevölkerten Hügel, so weit das Auge reicht etc. Die Region hat viel zu bieten, aber manche kennen diese Angebote nur aus dem Tourismus-Unterricht der Schule und durch einzelne Klassenausflüge in die Reservate. Auch sind der enge Familienzusammenhalt und die Hilfsbereitschaft untereinander eine wunderbare Sache. Vielen ist gar nicht bewusst, dass es in anderen Ländern nicht so ist. Das macht die Schulpartnerschaft und die Freundschaft mit Deutschland so wertvoll und bereichernd - für beide Seiten.

Esther Hoffmann